Späte Rache

Serie Criminal Minds - 1. Staffel

Anmerkung: Diese Serie hat mich gepackt und nicht mehr losgelassen. Insbesondere die Charaktere Gideon und Reid haben es mir angetan. Ich würde mich über ein Feedback im Gästebuch sehr freuen. Vielen Dank an meine Beta levi! Über Feedback würde ich mich im Gästebuch freuen.

Disclaimer: Mir gehört an dieser Geschichte gar nichts und den Erfindern der Serie „Criminal Minds“ dafür alles. Alle Personen drum herum sind frei erfunden und gehören mir auch nicht wirklich.


Späte Rache

Zärtlich strich er die blonden Haare aus dem Gesicht. Es fühlte sich so gut an und er wollte diesen Moment nicht verstreichen lassen und lies die Hand auf seiner Wange liegen. Die Haut fühlte sich so zart an unter seinen Fingern. Sein Haar umschmeichelte sein Gesicht und die feinen Züge faszinierten ihn. Er strich mit der Hand über die Wange und gab sich ganz und gar diesem Gefühl hin. Seine Finger fuhren die Konturen der Wangenknochen entlang und verharrten an seinen Lippen. Er spürte den warmen Atem des jungen Mannes und berauschte sich an dem Gefühl, vollkommene Macht über ihn zu haben.

Dexter Collins war von dem jungen FBI-Agenten überrascht worden und hatte unmittelbar auf die Bedrohung reagiert und ausgeholt. Nun lag der Mann regungslos vor ihm auf dem nackten Betonboden der alten Lagerhalle. Wie hatte er nur herausfinden können, wo er seine Opfer versteckt hielt? Niemand wusste wer er war und daher konnte auch niemand wissen, dass er hier früher gearbeitet hatte, bevor die Fabrik die Pforten geschlossen hatte. Das war nun bereits fünf Jahre her und seitdem war es immer nur bergab gegangen. Dexter hatte nach seinem Job auch sein Haus verloren und nun lebte er in einer billigen Absteige im North End, wo die Dealer vor seinem Zimmer ihre Geschäfte abwickelten. Doch Dexter würde nicht aufgeben, er hatte eine neue Herausforderung gesucht und gefunden. Beim ersten Mal war es schief gegangen, aber dieses Mal würde er alles richtig machen.

Seine Finger strichen wieder über das Gesicht des Mannes und verwischten dabei die feinen Linien aus Blut, die ihm über die Stirn liefen. Er hätte nicht so fest zuschlagen sollen, aber auf die schnelle hatte er nur den alten Eimer greifen können. Dexter sah sich den Mann genauer an. Ja, es war eindeutig der FBI-Agent, der hinter der blonden Frau und seinem Bruder gestanden hatte, als sie über die Fortschritte in seinem Fall berichtet hatte. Er sah so gar nicht wie ein Agent aus, eher wie ein Student.

Dexter fuhr mit der Hand in die Taschen des regungslosen und zog seine Brieftasche hervor. „Special Agent Dr. Spencer Reid!" Der Ausweis bestätigte seine Ahnung. Er musste sich etwas einfallen lassen. Bisher hatte er gedacht, das FBI würde ihn niemals finden, wie überheblich das war, zeigte ihm dieser junge Agent. Was machte er überhaupt ganz allein hier? Dexter drehte den Mann vorsichtig auf die Seite und zog die Waffe aus dem Gürtelhohlster. Er verabscheute Waffen jeder Art, sein Vater hatte ihm immer das Schiessen beibringen wollen, aber er hasste den Lärm den Waffen machten und er hasste den Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters, wenn er wieder einmal auf einen der streunenden Hunde ihrer Nachbarschaft geschossen hatte.

Dexter wog die Waffe in der Hand und warf sie dann nach rechts weg, wo sie mit einem Platschen in den alten Wasser gefüllten Gruben landete. Er durchsuchte den Mann weiter und fand noch ein Handy, dass er sorgsam zur Seite legte. „Gut, Agent Reid, nur weiß ich gar nicht, was ich nun mit ihnen machen soll. Vermutlich werden ihre Kollegen auch bald hier auftauchen und dann habe ich ein Problem." Dexter sah beunruhigt zur Rückseite des Raumes, wo eine kleine Luke zu einem schmalen Gang führte. Sie war kaum zu sehen und meist platzierte er noch eine große alte Öltonne davor, falls sich doch einmal jemand hier her verirrte.

„Nun gut!" Er stand auf und zog dabei den Oberkörper Reids an seinen Armen hoch. Wie leicht der Kerl doch war. Dexter hatte immer schwer gearbeitet und so gelang es ihm mit Leichtigkeit sich den Mann über die Schultern zu werfen. Schleifspuren hätten sein Versteck verraten können. Wenn er zurückkam, würde er alle Spuren verwischen müssen.

***

„Komm schon JJ, das kann nicht dein Ernst sein."

„Doch! Ich habe hier zweitausend mögliche Täter."

„Lässt es sich wirklich nicht weiter eingrenzen?" Morgan nahm der jungen Frau die Akten ab, die sie ihm entgegenhielt. Natürlich hatten sie bisher nicht viele Parameter, um die Suche nach dem Entführer einzugrenzen, aber diese Summe war wesentlich höher als er vermutet hatte.

„Leider nein, dafür sind die Indizien bisher zu dürftig. Ein weißer, ca. 40-50 Jahre alt, aus gutem Hause und mittlerer Bildung, vermutlich ohne feste Anstellung und laut Zeugenaussage Brillenträger und blond."

„Was natürlich auch Tarnung sein könnte."

JJ sah sich in dem Großraumbüro des San Jose Police Departments um. „Wo sind die anderen gerade?"

Derek griff zu seiner Kaffeetasse und schlug den ersten Aktendeckel auf. „Gideon spricht noch einmal mit den Eltern der Kleinen und Elle und Hotch sind in der Nachbarschaft unterwegs und Reid sollte sich noch einmal an der Seapers Primary School umsehen."

JJ nahm sich einen Stuhl und zog eine der Akten zu sich herüber. „Ich verstehe einfach nicht, warum keiner etwas gesehen hat. Zweihundert Schüler feiern auf dem Sportplatz ein Sportfest und Kylie Simmons ist eine von ihnen. Es muss doch jemand etwas gesehen haben."

„Du hast den Grund schon erkannt."

„Was?" Die junge Agentin sah irritiert zu ihrem Kollegen.

„Zweihundert Schüler - da achtet niemand auf das eine kleine Mädchen mit dem blauen Trainingsanzug und den blonden langen Haaren, das vielleicht kurz zur Umkleidekabine geht und dann nicht wieder zurückkommt."

„Miss Jarreau, ich habe hier etwas, dass Sie interessieren dürfte." Captain Collins hatte den Fall von Anfang an betreut und war ihr Kontaktmann vor Ort. In seiner Hand hatte er eine dicke Akte. Derek war der Kerl suspekt, er kniete sich dermaßen in die Klärung der Sache hinein, als wäre es sein ganz ureigener Kreuzzug. Er trat an den Tisch heran. „Es ist ein alter Fall."

„Wir sind die ungeklärten Fälle doch bereits durchgegangen..." Derek wollte ausholen, doch der eifrige Captain unterbrach ihn gleich wieder. „Ich weiß, ich weiß. Aber dieser Fall gilt als geklärt. Ich hab ihn damals mitbearbeitet und mich an die vielen Parallelen erinnert."

„Zeigen Sie mal her." Derek nahm die Akte und schlug sie auf. Das erste was ihm auffiel, war die frappierende Ähnlichkeit des Mädchens auf dem Foto mit Kylie Simmons.

„ Damals hatten wir einen Hauptverdächtigen, die Beweise waren knapp und so war es größtenteils ein Indizienprozess. Clive Atkins ist zu zwanzig Jahren verurteilt worden. Das ganze ist jetzt bereits zwei Jahre her und er sitzt im Attica Jail in San Francisco ein."

JJ versuchte ebenfalls einen Blick in die Akte zu erhaschen. „Die Mädchen sehen sich sehr ähnlich, gibt es andere Gemeinsamkeiten?"

Beide Mädchen waren im gleichen Alter und beide Mädchen wohnten im gleichen Stadtgebiet und sie hatten beide Sport betrieben. Sabrina Meyers hatte damals mit ihrer Mutter im Park Verstecken gespielt und war dann nie wieder aufgetaucht. Ihre Leiche wurde nie gefunden."

„Aber wie hatte man Atkins dann verurteilen können?" Derek fand die Sache äußert seltsam.

„Man fand Blutspuren in seinem Haus, die dem Mädchen gehörten. Das genügte dem Richter, denn Atkins hatte auch kein Alibi vorzuweisen." Collins sah Derek erwartungsvoll an. Es war fast als erhoffte er eine Belohnung für seinen Hinweis. „Captain, können Sie mir alle Unterlagen zu diesem Fall besorgen?"

„Aber sicher, in 30 Minuten haben Sie alles auf dem Tisch." Damit wandte er sich um und strebte die Tür des Großraumbüros an. Derek vertiefte sich in das Bild von Sabrina Meyers.

„Denkst du die beiden Fälle gehören zusammen?"

„Möglich. Informierst du bitte die anderen, ich überprüfe das ganze mal."

***

Kylie hatte fürchterliche Angst. Der Raum in dem sie eingesperrt worden war, roch fürchterlich und nur eine kleine Glühbirne über der eisernen rostigen Tür erhellte den Raum. Der Mann hatte sie vor kurzem hier zurückgelassen, fest gekettet an einem Rohr. Die ca. ein Meter lange Stahlkette ließ ihr nur wenig Spielraum, aber sie nutzte ihn, um nach einem Ausweg zu suchen. Nachdem der Kerl sie sich von hinten geschnappt und aus der Toilette geschleift hatte, war er mit ihr hier her gegangen. Kylie hatte sich gewehrt, doch der Mann hatte seinen Griff nur noch verstärkt und ihr wehgetan, also hatte sie es irgendwann aufgegeben. Sie hatte schreien wollen, aber die Hand auf ihrem Mund verhinderte dies unerbittlich. Irgendwann hatte sie den Sportplatz nicht mehr sehen können.

Sie erinnerte sich an den Geruch, den diese alte Fabrik verströmte. Früher hatte ihr Vater hier gearbeitet, aber dann war die Firma Bankrott gegangen. Kylies Dad war dort Wachmann gewesen und danach Portier in einem großen Hotel. Sie wünschte, ihr Vater wäre jetzt hier, sie hatte solche Angst. Vielleicht kam der Kerl nie wieder und sie würde hier sterben oder wenn er doch kam, was würde er mit ihr tun? Als sie hier angekommen waren, hatte er ihr die Fesseln angelegt und sich dann auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Raumes gesetzt und sie stundenlang angestarrt. Kylie hatte weggesehen, mit ihm geredet, ihn angeschrieen und geweint, doch er hatte keine Miene verzogen. Irgendwann war Kylie eingeschlafen und als sie erwachte, war er fort. Stundenlang hatte sie immer wieder um Hilfe geschrieen und an ihren Fesseln gezerrt, bis ihr Handgelenk ganz blutig war.

Geräusche, Kylie erkannte sie, so hörte es sich auch an, wenn ihr Vater spät abends von der Arbeit kam und noch einmal nach ihr sah. Aber dieses Mal waren die Schritte schwerfälliger. Vielleicht brachte er etwas zu Essen oder Trinken mit.

Die eiserne Tür öffnete sich quietschend und er starrte sie direkt an. Kylie wollte dem Blick ausweichen, aber sie sah gebannt zu dem Mann, den er über seine Schultern gelegt hatte. Sie kannte ihn nicht, was sollte das bloß alles? Ihr Angreifer lies ihn neben ihr zu Boden gleiten und jetzt sah Kylie das viele Blut in seinem Gesicht. Sie wich zurück an die Wand, denn sie wollte auf keinen Fall in die Nähe ihres Peinigers kommen. Dieser nahm ein paar Handschellen aus einem Rucksack neben der Tür und kettete damit dem Bewusstlosen die Arme auf den Rücken. Dabei ging er schon fast vorsichtig mit dem jungen Mann um, dessen blonde Haare ihm wirr ins Gesicht hingen. Wortlos machte der Mann kehrt und schloss die Tür hastig hinter sich. Erleichtert und zugleich frustriert, hörte sie ihn das Schloss verriegeln.

Kylie wusste nicht was sie tun sollte. Wer war das andere Opfer dieses Mannes und warum war er hier mit ihr gefangen? Sie drückte sich so weit wie möglich an die Wand und schloss die Augen, vielleicht konnte sie so all dies hier ausblenden, wenn sie ganz kräftig an zu Hause dachte, wo Mummy und Daddy mit ihr spielten.

***

„Ich verstehe das nicht." Jason sah sich noch mal alle Details an, die sie bisher zusammenbekommen hatten. Vor 13 Stunden war die 10-jährige verschwunden und noch am gleichen Tag hatte man in einer der Umkleidekabinen des Sportcenters einen abgeschnittenen Zopf blonder Haare gefunden. Das war auch der Grund für das schnelle Einschalten des BAU gewesen. „Warum macht er das, das Ganze ergibt für mich kein rundes Bild."

Derek hatte sie alle über den zweiten Fall Sabrina Meyers informiert. Auch sie hatte lange blonde Haare gehabt und Derek hatte den Haarschopf gleich auf ihre DNA hin überprüfen lassen, doch noch stand das Ergebnis aus. Es war fraglich ob sich in dem Haarbüschel ein Haar mit Wurzel befand.

„Elle, was haben die Nachbarn gesagt, ist ihnen irgendetwas aufgefallen?"

„Nein. Keine Autos, die das Haus der Simmons ausspioniert haben könnten, keine Einbrüche oder unbekannten Personen oder andere Beobachtungen. Jeder geht dort nur seinen eigenen Dingen nach. Eine Freundin von Kylie sagte, sie wäre auch auf dem Sportfest gewesen und sie hätte nach ihr gesucht. Sie wohnt drei Häuser weiter."

„Das muss Ginger Mead sein, sie hat zuerst bemerkt, dass ihre Freundin nicht mehr da ist und eine der Lehrerinnen benachrichtigt." Jason hatte ihren Namen gestern auf die große Tafel geschrieben.

„Sie sagt, sie hätte mit Kylie oft Verstecken gespielt und zunächst gedacht, die würde sich vor ihr verstecken."

„War nicht Sabrina Meyers beim Versteckspielen verschwunden?"

„Ja im Park.".

Jason stellte sich erneut vor die Wand, die alle ihre bisherigen Spuren dokumentierte. Sie hatten bisher viel über das Opfer, vielmehr die Opfer erfahren, aber noch kaum Anhaltspunkte zum Täter gefunden. Einige Zeugenaussagen am Sportplatz berichteten von einem blonden Mann mit Brille, den sie nicht gekannt hatten. Jason sah zu den Angaben herüber, die Derek zum Fall Meyers ergänzt hatte. Auch dort gab es ein Phantombild, das einen Brillenträger zeigte. Es passte alles zusammen, war aber nicht eindeutig genug.

„Wo ist eigentlich Reid, die Schule ist doch schon längst aus?"

***

Das erste was Spencer Reid wahrnahm, war der fürchterliche Gestank um ihn herum. Was war das bloß? Das zweite was er spürte, war der hämmernde Schmerz hinter seiner Stirn und die Handschellen hinter seinem Rücken, mit denen er an irgendetwas gekettet worden war. Vorsichtig versuchte er die Augen zu öffnen, gab das Unterfangen aber zunächst erst wieder auf und versuchte seine Atmung zu kontrollieren, um die aufkommende Übelkeit zu bekämpfen. Er erinnert sich dunkel in die große Lagerhalle der alten Zinnfabrik gegangen zu sein. Er hatte sie vom Sportplatz aus gesehen und während er mit den Lehrern und Schülern sprach, war sein Blick immer wieder dorthin gewandert.

Sein Schädel schien zu explodieren, während er selbst mit geschlossenen Augen das Gefühl hatte Karussell zu fahren. Er musste kein Arzt sein, um sich eine Gehirnerschütterung zu diagnostizieren. Irgendwas, oder vielmehr irgendwer, hatte ihn übel niedergeschlagen und hierher verschleppt. Hierher - Spence erinnerte sich wieder daran, dass er die Augen öffnen wollte, doch so recht vermochten ihm seine Augenlider nicht zu gehorchen. Flatternd öffnete er sie einen Spalt und so sehr er sich auch konzentrierte, er konnte nichts als ein diffuses rötliches Licht erkennen. Er blinzelte, doch alles um ihn herum war verschwommen.

„Wer bist du?"

Spence zuckte erschrocken zusammen und versuchte seinen Kopf in Richtung der leisen Stimme zu drehen, was einen erneuten Schwung Übelkeit nach sich zog. Das war eindeutig die Stimme eines Mädchens gewesen, auch wenn sie noch immer in seinem Kopf dröhnend nachhallte.

„Kylie?" Reid erschrak vor seiner eigenen krächzenden Stimme und versuchte sich vorsichtig zu räuspern. Er hatte derweil mehr Kontrolle über seine Augenlider, doch noch immer war alles verschwommen und er nahm vor sich nur einen dunklen Schatten wahr, der sich etwas bewegte.

„Woher kennen Sie meinen Namen?" Er konnte die Angst in ihrer Stimme erkennen.

„Ich habe deine Eltern getroffen. Sie suchen dich."

„Mum? Dad? Wo sind sie? Ich will nach Hause!" Kylies letzter Satz ging in einem Schluchzen unter. Spence musste schlucken, er wollte sich gar nicht vorstellen, was der Kerl ihr vielleicht schon angetan hatte und welche Ängste die Kleine hatte ausstehen müssen. Er hörte sie leise weinen.

„Ich bin vom FBI und heiße Spencer. Meine Kollegen helfen deinen Eltern und sie werden uns sicher bald finden." Reid versuchte sich vorsichtig aufzurichten, aber sein anscheinend gestörter Gleichgewichtssinn und die Handschellen auf seinem Rücken ließen ihn nur unsanft auf das Gesicht zurückfallen. In seinem Schädel arbeitete ein Presslufthammer und die Aktion machte es nicht wirklich besser.

„Was ist mit Ihnen?" Kylie schien sich wieder gefangen zu haben. Ihr Profil wies sie als wissbegieriges aufgeschlossenes Kind aus. Beste Schulnoten und eine kreative Ader rundeten das Bild ab.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Jemand hat mich niedergeschlagen glaube ich…" Er hatte keinerlei Erinnerungen, wie er hier her gekommen war. Das letzte an das er sich erinnerte, war die große zentrale Halle in der Fabrik und der metallische Geruch in der Luft, dann war alles dunkel.

„Ihr Kopf blutet. Tut das sehr weh?" Noch immer zitterte ihre Stimme leicht, doch sie schien sich immer mehr zu fangen. Er musste ihr Vertrauen gewinnen, vielleicht konnten sie gemeinsam aus diesem Schlamassel herauskommen. „Ziemlich, aber das blödeste ist, dass ich nicht richtig sehen kann. Kannst du mir beschreiben wo wir hier sind?"

„Ich weiß nicht, es ist irgendwo in Daddys alter Fabrik…"

„Daddys Fabrik?"

„Ja, er war hier früher Wachmann und er hat mich später einmal mitgenommen und mir alles gezeigt." Sie schien etwas näher heranzurücken während sie sprach, was Reid nicht wunderte. Sie hatte zwar Angst, aber ihre Sehnsucht nach Schutz in dieser Umgebung war größer. „Der Mann hat uns glaube ich in einen der alten Kesselschächte gesperrt. Ich habe Angst vor ihm!"

Ihre Stimme war beim letzten Satz wieder brüchiger geworden und Reid wusste, dass er sie ablenken musste. „Kannst du mir helfen mich hinzusetzen?"

„Ich weiß nicht ob die Kette reicht." Er hörte sie zu sich herüberrutschen und eine Kette rasseln. Eine Hand griff nach seiner rechten Schulter und stützte ihn, während er sich mit etwas Schwung hoch drückte. Er saß! Aber die schnelle Bewegung hatte seinem Kopf nicht gut getan und für einen Moment hatte er das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Er schnappte nach Luft und suchte Halt an der Wand hinter ihm und schloss die Augen für einen Moment.

Als er wieder etwas klarer war beruhigte sich sein Atem. „Danke Kylie!"

„Sie sehen nicht gut aus. Mein Dad ist mal vom Garagendach gestürzt und musste dann ins Krankenhaus. Er hatte auch am Kopf geblutet."

„Nun vermutlich gehöre ich da eigentlich auch hin, aber ich habe nicht den Eindruck, dass der Mann uns gehen lassen wird." Spencer bewegte seine Fesseln an dem Rohr hin und her und begann heftig daran zu ziehen, aber er hatte keine Chance.

„Ich habe schon alles versucht, aber ich bekomme meine Ketten auch nicht los." Sie beobachtete ihn genau.

„Hab keine Angst Kylie! Meine Freunde sind ganz besondere Menschen. Sie sind sehr schlau und werden uns sicherlich bald finden."

„Sicher?"

Spencer wusste das er log. „Sicher Kylie!"

***

Hätte Spence gewusst, welchen ratlosen Blick Gideon in diesem Moment auf seinem Gesicht hatte, wäre er mit dieser Prognose vielleicht vorsichtiger umgegangen. Der Agent stand mit Hotch und Morgan vor der Schule und sah sich um. Der Unterricht war längst beendet und die Kinder schon seit Stunden wieder zuhause bei ihren Eltern. Nur Spencer Reid war nicht zu seinem Team zurückgekehrt und die Ursache dafür konnte nur hier an der Schule liegen. Laut Direktorin war er hier zuletzt gesehen worden, als er einige der Kinder auf dem Schulhof befragt hatte.

Irgendetwas hatte ihn daran gehindert in die Polizeistation zurück zu kommen, aber es war unwahrscheinlich, dass er direkt aus der Schule verschwunden war.

„Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder er hat etwas entdeckt und verfolgt eine Spur..." Derek drehte sich im Kreis und beobachtete seine Umgebung genau.

„Warum hat er sich dann nicht bei uns gemeldet?" unterbrach ihn Hotch und sah ratlos auf sein Handy. „Garcia konnte sein Handy nicht orten."

Doch Derek zuckte nur ratlos mit den Schultern. „Vielleicht keinen Empfang, wer weiß? Die andere Möglichkeit ist weniger schön." Ihnen allen war diese Möglichkeit klar. Vielleicht war ihrem jungen Kollegen etwas aufgefallen, er ist der Spur gefolgt und dann dem Täter in die Quere gekommen.

Gideons Gedanken kreisten um die Schule. „Wir müssen herausfinden, mit wem er zuletzt geredet hat. Vielleicht können wir seiner Spur dadurch besser folgen. Jetzt suchen wir bereits zwei Personen, aber bei Reid haben wir einen entscheidenden Vorteil."

„Wir haben das beste Opferprofil, das man sich wünschen kann." Hotch musste seinem Kollegen zustimmen. Auch er hoffte, dass sie sich alle irrten und er gleich um die Ecke kam, aber er war viel zu sehr Realist. Aber vielleicht konnten sie seine letzten Schritte und Gedanken nachvollziehen und so auch das Mädchen finden. „Sprechen wir mit der Rektorin."

Gideon verharrte und sah seinen Kollegen nach. Er kannte Spencer Reid nun bereits seit geraumer Zeit und fühlte sich immer ein wenig verantwortlich für den jungen Mann, der auf den ersten Blick im FBI-Dienst fehl am Platz wirkte. Doch schon viel zu oft hatte er sie alle verblüfft, als dass er es wagte ihn zu unterschätzen. Was ihm allerdings noch fehlte war Erfahrung und das könnte ihm noch irgendwann zum Verhängnis werden. Sein Blick wanderte herum. Was war Reid aufgefallen, dass er alle Vorsicht in den Wind schoss?

***

Dexter wanderte nervös auf und ab und beobachtete den Fernseher. Immer wieder sah er ungeduldig auf den Bildschirm und dann wieder auf die Uhr. Sie mussten doch etwas bringen, die ganze Stadt redete von ihm und Kylie. Draußen vor dem Fenster schien alles ruhig, aber er hatte trotzdem Angst, dass ihm das FBI auf die Schliche kam.

Er hatte alle Spuren in der alten Fabrikhalle beseitigt und das Handy des jungen Agenten zerstört. Sie hätten ihn sonst orten können, das wusste er durch seinen Bruder. Phillip arbeitete seit seiner Jugend im Polizeidienst und hatte es bis zum Captain geschafft. Er führte im Gegensatz zu ihm ein geregeltes erfolgreiches Leben, von dem Dexter sich vor Jahren verabschieden musste. Simmons und seine Kumpanen waren daran schuld, dass er alles verloren hatte und sie würden das gleiche wie er dafür durchleiden müssen. Das hatte er am Grab seiner kleinen Caitlin geschworen und auch das FBI und sein Bruder würden ihn davon nicht abhalten können.

Hektisch griff er zur Fernbedienung und schaltete durch die Kanäle, bis er eine Nachrichtensendung fand. „… die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Schule, doch bisher konnten die Ermittler noch keinen Fortschritt vermelden. Noch ist unklar, wie weit der Fall Sabrina Meyers hier eine Rolle spielt. Vor 2 Jahren erschütterte bereits ein ähnliches Verbrechen unsere Stadt. Damals konnte man einen Täter festsetzen, der seine Strafe im Attica Gefängnis abbüßt. Wäre es möglich, dass er zu Unrecht eingesperrt wurde und die beiden Mädchen von ein und demselben Serientäter verschleppt wurden? Von Sabrina fehlt bis heute jede Spur und ihre Eltern hoffen jetzt mehr über das Schicksal ihrer geliebten Tochter zu erfahren. KLF wird sie hier in Kürze weiter informieren…"

Dexter drehte den Ton ab und starrte auf den Bildschirm, der nun eine Werbung für Rasenmäher zeigte. Die Welt drehte sich weiter, dessen war er sich klar, aber für seine Opfer würde sie aufhören sich zu drehen, so wie es ihm vor 5 Jahren ergangen war, als er seinen Engel verloren hatte. Caitlin war sein ein und alles gewesen und diese Kerle hatte sie auf dem Gewissen. Er hatte sich geschworen, sie das gleiche durchmachen zu lassen wie ihn. Er wollte ihre Familien zerstören, ihnen der Ungewissheit aussetzen, die er auch er durchlitten hatte.

Caitlin hatte wochenlang gekämpft und doch ihr Leben verloren. Das Gift hatte sich in ihren Körper geschlichen und sie dort von innen zerstört. Die Ärzte waren hilflos gewesen und so hatte er ihr beim Sterben zusehen müssen.

Er hatte auch Sabrina beim Sterben zugesehen. Sie war immer schwächer geworden, aber es war zu schnell gegangen. Er hatte dem Mädchen nichts zu essen gegeben, sie hatte Fieber bekommen und war bewusstlos geworden. Bei Kylie würde ihm das nicht passieren. Ihr Vater würde sie nie wieder sehen.

Auf seiner Liste standen noch zwei weitere Kinder, aber sie waren noch nicht alt genug und so würde er warten und er war sehr geduldig. Aber er musste aufpassen, dass sie ihm nicht auf die Schliche kamen.

Bisher hatte er seinem Bruder und der Polizei immer ausweichen können, doch dieses Mal waren sie ihm sehr nahe gekommen. Er zog die Brieftasche aus der Hose und sah noch mal auf den Dienstausweis. Er würde ihn loswerden müssen, er war ein zu großes Risiko für ihn, obwohl es nicht richtig war. Dieser Agent Reid war nicht Teil seines Planes und er war kein skrupelloser Mörder. Der junge Mann hatte ihm nichts getan, er hatte ein besseres Ende verdient. Doch Dexter durfte nichts riskieren, er hatte es Caitlin versprochen sie zu rächen und er würde sein Versprechen erfüllen. Seinen Bruder sah er nur noch selten in den letzen Jahren. Er hatte ihm beigestanden, doch auch er hatte Caitlin nicht retten können und wusste anschließend nicht mehr, wie er mit ihm umgehen sollte. Immer stand er vor Dexter, wenn sie sich sahen und wusste nicht was er sagen sollte. Dexter hatte den Kontakt irgendwann ganz abgebrochen. Hätte er nur nie so nah bei der Fabrik sein Haus gebaut, hätte er nur nie die falschen Leute gefragt, ob es sicher sei. Sie hatten ihn alle betrogen und sein Tochter war der Preis gewesen, den er zu zahlten hatte. Aber nun würde abgerechnet.

Dexter ging in die Küche und nahm aus einem Schrank Plastiktüten und Klebeband und öffnete dann eine Schublade. Er zögerte kurz, griff dann aber nach dem großen Messer und steckte es ein.

***

Elle beobachtete Gideon, wie er sich langsam im Kreis drehte und die Umgebung beobachtete. Sie kannte diese Technik von Derek, der sich extrem gut in andere Personen hineinversetzen konnte. Gideon versuchte nun Spencers Gedankengänge nachzuvollziehen, da er ihn am besten kannte.

Hotch und Derek hatten mit der Rektorin gesprochen und keinerlei neue Erkenntnisse gewonnen. Ihr Kollege hatte mit einigen der Mädchen gesprochen und mit zwei Lehrkräften, doch soweit ihre Nachforschungen ergaben, ohne nennenswerte Ergebnisse. Es gab bisher keinen Anhaltspunkt, wohin sich Reed gewendet hatte, nachdem er den Schulhof verlassen hatte. Auch Elle lies ihren Blick wandern und beobachtete die Kinder auf dem nahe gelegenen Spielplatz. Ihr Beruf verdeutlichte ihr immer wieder, wie schutzlos diese Kinder allem Bösen in dieser Welt ausgesetzt waren. Wie sollte man sein Kind nur vor all den kranken Menschen schützen, die diese Welt hervorbringt. Sie bewunderte Hotch um den Mut, trotzdem eine Familie zu gründen. Elle wusste nicht, ob auch sie so stark würde sein können, zu sehr hatte ihre Arbeit sie bereits geprägt.

Jeder im Team litt unter Alpträumen, jeder von ihnen suchte immer einen Raum in seinem Leben, um vor all dem Grauen, dem sie in ihrem Beruf begegneten, entfliehen zu können. Elle konnte den Blick nicht von einem kleinen Mädchen abwenden. Die Kleine war hübsch und schaukelte ausgelassen mit ihrer Freundin. Wie nah lagen doch Glück und Leid beisammen. Sie hatte vor zwei Stunden noch mit den Eltern von Sabrina gesprochen. Der Vater war ein gebrochener Mann, die Frau blass und still und der kleine Sohn störrisch. Leider hatte auch dieser Besuch keine näheren Anhaltspunkte ergeben. Die Behörden hatten nie eine Spur des Kindes entdeckt und wenn sie tatsächlich den Falschen dafür eingesperrt hatten, war es auch kein Wunder warum der dann nicht den Ort benennen konnte, an dem Sabrina vermutlich gestorben war.

Derek und Hotch kamen heran. Auch in ihren Gesichtern sah Elle die Ratlosigkeit. Sie waren jetzt alle zusammen und gemeinsam waren sie am stärksten. Dann konnten sie ihre Fähigkeiten kombinieren und sich gegenseitig ergänzen. Gideon stand noch immer abseits und war ganz und gar in eine andere Welt eingetaucht.

„Wir haben grad noch mit einer der Lehrerinnen gesprochen, sie meinte, Reid sei in diese Richtung vom Schulhof gegangen." Derek wies in die Richtung der Sporthalle, der Ort, an dem Kylie Simmons verschwunden war. Das ergab Sinn.

Gideon schien ihm auch zugehört zu haben und sah in die angegebene Richtung, nur um sich Sekunden später in die gleiche Richtung zu bewegen. Elle folgte ihm mit ihren Kollegen.

Gideon hielt inne. „Hier wurde er zuletzt gesehen?"

„Ja." Hotch nickte ernst. Wie sie alle blickte er in die Runde, doch Elle konnte keinen Anhaltspunkt sehen. In der Ferne war ein Wohngebiet zu sehen, gleich neben der alten stillgelegten Fabrik. Dazwischen eine große Brachfläche. Zur anderen Seite hin fanden sich einige Firmengebäude und die Gleise des Bahnhofs, aber nichts Auffälliges.

***

Spencer versuchte ruhig zu atmen und die Kopfschmerzen in den Hintergrund zu drängen. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren und immer wieder versucht Kylie von ihrer Situation abzulenken. Jetzt war das Mädchen sehr still geworden.

„Kylie?"

„Ja?"

„Ich habe ein paar deiner Bilder gesehen, die waren wunderschön."

„Hm."

„Wo hast du so gut Malen gelernt? In der Schule?"

„Das hat mir mein Dad gezeigt. Dad kann ganz toll malen und…"

Kylies Stimme stockte und ging in ein leises Wimmern über. Was würde Spence darum geben richtig sehen zu können, aber noch immer war alles verschwommen. „Kylie? Was ist los?"

„Ich.. ich habe Angst."

„Die habe ich auch etwas Kylie, aber das ist überhaupt nicht schlimm. Wer Angst hat ist vorsichtig und passt auf sich auf."

„Aber wenn der Mann wieder kommt, macht er mit mir das gleiche wie mit dem anderen Mädchen." Spence horchte auf. Welches andere Mädchen?

„Er hat mit dir geredet? Was hat er dir erzählt?" Spence musste soviel wie möglich erfahren, vielleicht fand er einen Ansatzpunkt, den Mann bei seiner Rückkehr zu beeinflussen.

„Er wurde ganz böse und sagte, er würde das machen um Dad weh zu tun und dass er mir nicht weh tun wollte, aber es nicht anders gehen würde, dass er es für seine Tochter tun müsste."

„Und er hat von einem anderen Mädchen erzählt?"

„Ja, er hatte sie auch mitgenommen, aber irgendetwas …" Kylies Stimme stockte. „Ich glaube sie ist tot."

Spence merkte, dass er Kylie wieder ablenken musste. „Kylie, du hast gesagt, dein Vater war hier Wachmann. Weißt du, wo wir hier genau sind?" Er hatte anhand der Geräusche schon gemerkt, dass sie in einem sehr kleinen Raum waren, aber genaueres konnte er nicht erkennen.

„Ich… ich weiß nicht. Ich glaube es ist einer der großen Kessel in der Mitte des Gebäudes, aber ich weiß es nicht genau, ich hab ihn nur von außen gesehen." Das half ihm nicht wirklich weiter.

„Spencer?"

„Ja Kylie?"

„Kommt mein Dad bald?"

Spence atmete tief durch. Wie gern würde er die kleine in den Arm nehmen und ihr die Geborgenheit geben, die sie gerade jetzt so dringend brauchte. „Ich weiß es nicht Kylie, aber wir beide werden einfach hier warten. Ich bin sicher er kommt zusammen mit meinen Freunden."

„Und wenn der böse Mann wieder kommt?"

„Dann werde ich versuchen ihn davon zu überzeugen, uns gehen zu lassen."

„O.K.!"

Kylie schien mit der Information zufrieden, doch Spence wusste, dass es vermutlich Wunschdenken war. Er hatte keine Spuren hinterlassen, als er zur Fabrik herüber gegangen war und sein Angreifer hatte bestimmt alle Spuren in der Fabrik verwischt. Eigentlich wusste er nicht, was ihn zu dieser Fabrik hingezogen hatte. Vielleicht das Brachland mit seinen Büschen, die einen Angreifer gut verbergen konnten? Spencer hatte sich ausgemalt, wie der Kerl sein Opfer im Schutz der Büsche von der Schule wegschleift. Es war eigentlich die einzige Erklärung, warum niemand etwas bemerkt hatte.

Doch er hatte keine Spuren entdecken können und irgendwann vor der Fabrik gestanden und sie rein intuitiv betreten. Er musste den Kerl gestört haben, es war alles nur ein großer Zufall gewesen, was es seinen Kollegen schwierig machen würde, seinen Spuren zu folgen.

Kylies Dad hatte hier früher gearbeitet, vielleicht lag dort ja die Verbindung, denn er schien das Mädchen bewusst ausgesucht zu haben. Es musste ein sehr persönliches Motiv sein und er ging im Kopf sein gesamtes Wissen durch.

Eifersucht, Rache oder Neid waren mögliche Motive und die Literatur bot viele Beispiele. Er hoffte mit dem Mann reden zu können, wenn er wieder kam. Ein stechender Schmerz durchschoss seine Stirn und lies ihn leise aufstöhnen. Übelkeit stieg wieder in ihm hoch und er war sich sicher, keine harmlose leichte Gehirnerschütterung abbekommen zu haben. Er atmete tief durch und verdrängte damit die Übelkeit und versuchte auch die Schmerzen zu ignorieren. Kylie brauchte ihn, niemand außer ihm konnte ihr die Angst nehmen, die sie erfasst hatte und er war vielleicht auch der einzige, der sie vor dem Täter schützen konnte, auch wenn er nicht wusste, wie er das mit hinter dem Rücken gefesselten Armen schaffen sollte.

***

Captain Collins rieb sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte damit seine Sorgen wegzuwischen. Der Fall von Sabrina hatte ihn damals sehr mitgenommen und ihn bis heute nicht ruhen lassen. Er kannte die Aussagen in den Akten regelrecht auswendig und er war immer unsicher gewesen, dass sie wirklich den richtigen erwischt hatten.

Da waren zu viele Ungereimtheiten gewesen, aber die Presse, die Eltern und die Staatsanwaltschaft schrieen nach einem Schuldigen und er hatte dieses Bedürfnis befriedigt. Aber seine Zweifel war er nie losgeworden. Collins versuchte sich wieder auf den Straßenverkehr zu konzentrieren, aber es wollte ihm nicht wirklich gelingen.

Tief in ihm drinnen, vergraben unter allen anderen Ideen, hatte er immer einen leisen Verdacht gehabt. Dieser war für ihn aber so widersinnig, so unfassbar, dass er ihn immer wieder in die letzte Ecke seines Geistes drängte. Doch so vieles erinnerte ihn bei den Indizien daran, so vieles passte zusammen. Das war absurd, nicht jemand wie… selbst in Gedanken fiel es ihm schwer es zu formulieren und so schob er den Gedanken wieder weit von sich und vergrub ihn unter all den anderen Gedanken. Doch sein ungutes Gefühl konnte er damit nicht beruhigen.

Der Spielplatz tauchte an seiner linken Seite auf und gleich dahinter die Schule. Er parkte seinen Wagen gleich neben den der Bundesagenten. Diese Menschen waren faszinierend. Aber er wollte um keinen Preis der Welt mit ihnen tauschen, sie sahen in die schlimmsten Abgründe menschlichen Daseins. Collins hatte sich in all seinen Dienstjahren einen dicken Schutzpanzer angelegt, um sich vor dem Grauen zu schützen, aber um wie viel dicker musste der Schutzpanzer der BAU-Leute sein.

Ausgerechnet den jüngsten von Ihnen hatte es getroffen. Er spürte die Sorge von Agent Gideon um seinen Schützling, sie alle schienen immer wieder eine schützende Hand über den noch etwas unerfahrenen Reid halten zu wollen. Der junge Mann hatte ihn sehr verblüfft, zwar schien sein Wissen komplett aus Büchern zu haben und dabei das wirkliche Leben nicht ganz zu meistern, aber seine Kenntnisse waren dafür so enorm und verblüffend. Collins hoffte, dass sie ihn finden würden. Ihn und Kylie.

Als er das Bild Kylies gesehen hatte, musste er wieder an seine Nichte denken. Es war nun schon so lange her, doch er konnte ihr Bild nicht vergessen. Caitlin war ungefähr im gleichen Alter gewesen, als sie krank geworden war und ihr langer Leidensweg begann. Sein Bruder Dexter war verzweifelt gewesen, war doch seine Frau schon bei der Geburt Caitlins verstorben.

Collins ging auf die BAU-Agenten zu, die vor der großen Sporthalle standen und diskutierten. Doch Caitlin ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Sein Bruder war völlig ausgerastet und hatte nicht verstanden, was mit seiner kleinen Prinzessin geschah. Collins konnte nur erahnen, wie es ihm selbst ergehen würde, wenn seinen beiden Kindern so was zustoßen würde. Dexter hatte jeden für sein Leid verantwortlich gemacht und die aus seiner Sicht schuldigen scharf angegriffen und am Ende damit recht behalten.

Dexter hatte seinen Arbeitgeber verklagt und damit das Ende der Fabrik eingeläutet, die viel zu dicht an seinem Wohngebiet lag. Damals war viel Staub aufgewirbelt worden und einige illegale Giftmüllentsorgungen an den Tag gekommen. Doch das alles hatte seinem Bruder nicht geholfen, er hatte nach Caitlins Tod seinen Job hingeschmissen und sich kaum noch bei seinen Verwandten blicken lassen. Wenn er es recht überlegte, hatte Collins seit über einem Jahr nichts mehr von seinem jüngeren Bruder gehört.

Er hatte die Gruppe der FBI-Agenten erreicht, als sich in seinem Kopf plötzlich ein Bild bildete und ihn stoppen lies. Er hatte damals alle Berichte gesehen und erkannte plötzlich alle Zusammenhänge. Das durfte einfach nicht sein, sicherlich gab es für all das eine gute Erklärung. Agent Gideon sah ihn fragend an und Collins hatte das Gefühl, er könne seine Gedanken seinem Gesicht ablesen. Das durfte einfach nicht sein, nicht Dexter! Nicht sein eigener Bruder!

„Captain Collins?" Gideon schien genau zu wissen was sich grad in ihm abspielte und vielleicht war es auch besser so.

„Ich, also…" Er hatte das Gefühl es nicht aussprechen zu können, doch er musste dieses Gefühl ignorieren. Er war Polizist und Vater und dort draußen war ein kleines Mädchen und ein junger Mann, die vielleicht schon tot waren. Er musste seinen Verdacht aussprechen, so unaussprechlich er auch war und dieses Morden stoppen, auch wenn er dafür seinen Bruder ans Messer liefern musste.

„Ich habe einen Verdacht!"

***

Dexter Collins stieg über die Absperrung, die die Produktionshalle vom Rest der Fabrik trennte. Sooft hatte er hier früher gestanden, als die Firma noch produzierte und er ein normales Leben geführt hatte. Er rückte seinen Rucksack zurecht und schob die große Tonne zur Seite. Es war sehr umständlich durch die enge Röhre zu gehen, da man sie nur gebückt durchqueren konnte. Dafür hatte er die Sicherheit, dass niemand sich hierher verirren würde, denn manchmal spielten Kinder und Jugendliche trotz der Verbotsschilder in den verrosteten Hallen.

Schritt für Schritt näherte er sich Kylies Gefängnis. Sie würde dort die nächsten Wochen verbringen und ihr Vater würde sich Fragen müssen (,) was mit seinem Kind passiert war. Ein ungutes Gefühl hatte er wegen des jungen FBI-Agenten. Er würde ihn hier wegschaffen müssen, was sicher nicht leicht sein würde. Vor ihm tauchte die große Luke mit der Kurbel auf. Er drehte daran und der Riegel öffnete sich. Früher wurde in dem großen Kessel das Kühlwasser der Produktion gesammelt, bevor es gereinigt werden sollte. Noch immer waren viele der Rohre mit Wasser gefüllt und es tropfte in der Fabrik an allen Ecken und Enden.

Dexter wappnete sich innerlich, denn letztendlich lies ihn das verängstigte Gesicht der Kleinen nicht unberührt. Die Kleine tat ihm sogar auf eine seltsame Weise leid, denn eigentlich ging es nur um ihren Vater. Doch er hatte Caitlin ein Versprechen gegeben und so atmete er tief durch und stemmte die schwere runde Luke auf.

Er blickte zuerst in das Gesicht des kleinen Mädchens, das leicht zitterte und ihn mit ihren großen braunen Augen ansah. Dexter verschloss sein Herz und wandte den Blick ab. Agent Reid sah sehr blass aus und auch er starrte ihm entgegen. Anscheinend hatten die Fesseln gehalten und so nahm Dexter auf den Stufen platz und zog seinen Rucksack vom Rücken.

„Was haben Sie vor?"

„Das was zu tun ist. Es tut mir sehr leid, aber ich hab es versprochen und ich muss meinen Plan schützen. Sie waren darin nicht vorgesehen, Mr. Reid." Dexter sah dem Mann an, dass er ihn gleich verstand und sich auf die Lippen biss.

„Warum lassen Sie Kylie nicht frei?" Es fiel Reid sichtlich schwer seinen Blick zu halten, seine Augen wirkten irgendwie abwesend, der Schlag auf dem Kopf schien ihm zu schaffen zu machen und trotzdem versuchte er nicht aufzugeben. Dexter musste das anerkennen.

„Ich kann sie nicht freilassen, ich habe es jemanden versprochen." Er wühlte in seinem Rucksack und griff nach dem Schlüsselbund für die Handschellen und dem Klebeband.

***

„…und Sie meinen es könnte mit dem Giftskandal zusammenhängen?" Hotch stand mit seinen Kollegen um den sichtlich aufgewühlten Captain Collins. Der Mann schien völlig aufgelöst.

„Ich bin noch einmal die alten Akten im Kopf durchgegangen und da fiel mir auf, dass beide Väter früher in der Fabrik gearbeitet hatten. Das kann kein Zufall sein." Schweißtropfen auf seiner Stirn zeugten von seiner Aufregung. Hotch blickte zu der alten Fabrik herüber.

„Allerdings, das scheint auf einen sehr persönlichen Hintergrund hinzuweisen." Gideon versuchte die neuen Informationen gleich zu verarbeiten.

„Als vor Jahren die Fabrik geschlossen wurde, gab es viele Proteste aus dem Wohngebiet, da einige Kinder erkrankt waren und…" Collins versagte die Stimme. Hotch spürte genau, dass der Detektive etwas zurückhielt. Irgendetwas war ihm aufgefallen und es schien ihm schwer zu fallen es auszusprechen. Auch Gideon war dies aufgefallen.

„Was wollen Sie uns sagen Collins?"

Der Captain schaute regelrecht ertappt zu dem BAU-Agent. „Ich… ich habe einen Verdacht." Wieder zögerte Collins. „Damals starb auch ein Mädchen und ihr Vater hätte allen Grund sich zu rächen. Es…"

„Jetzt sprechen Sie schon!" Derek verlor die Geduld und auch Hotch ging es nicht viel besser. Das Leben eines kleinen Mädchens und ihres Kollegen stand auf dem Spiel und dieser Kerl rückte nicht mit seinem Wissen heraus.

„Ganz ruhig Derek. Ich denke Captain Collins hat seine Gründe." Gideon wusste, dass hier nur Einfühlungsvermögen weiterhalf, denn der Policeofficer rang sichtlich um Fassung. „Captain?"

„Es war meine Nichte Caitlin." Collins schien fast erleichtert, dass es heraus war. „Sie… Caitlin starb vor sieben Jahren. Sie war an einer schweren Zinnvergiftung gestorben und…" Collins atmete tief durch. „Mein Bruder hat ihren Tod nie verwunden und die Besitzer der Fabrik dafür verantwortlich gemacht. Ich habe ihn seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Ich kann es nicht glauben, will es auch nicht glauben, aber… es erscheint alles so klar, ich…"

Gideon legte dem verzweifelten Mann beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Es muss doch nicht ihr Bruder gewesen sein. Aber es ist offensichtlich, dass sich alles um die Fabrik dreht. Sie ist der Schlüssel und ich denke wir sollten das noch einmal überprüfen. Hotch, Derek, wir gehen zur Fabrik. Wir brauchen auf jeden Fall Verstärkung."

Gideon schaute dem erschüttert wirkenden Polizeibeamten ernst in die Augen. „Wir werde herausfinden, was die Wahrheit ist. Die Hauptsache ist, wir finden das Mädchen und unseren Kollegen. Sie begleiten uns am besten." Er wandte sich um. „Elle, ich möchte, dass du alles über den Skandal um die Fabrik und den Verbleib seines Bruders ermittelst."

„Alles klar. Wie heißt ihr Bruder mit Vornamen?"

„Dexter. Dexter Collins."

***

Es waren einige Beamte eingetroffen, die sie bei ihrer Suche unterstützten und die Fabrik regelrecht umstellt und sich langsam vorarbeiten sollten. Die alten Anlagen waren nicht allzu weitläufig, doch sie waren schon bei der ersten Durchsuchung nicht fündig geworden.

„Alles klar Hotch, du gehst auf die andere Seite. Wir sollten versuchen sehr leise vorzugehen, um ihn nicht zu warnen. Er könnte hier sein und bei dieser unübersichtlichen Anlage würden wir das Leben der Geiseln riskieren."

„Alles klar." Gideon sah besorgt in das vor ihnen liegende Wirrwarr aus Rohrleitungen und schmalen Gängen. Er war besorgt, dass der Täter hier war und überreagieren könnte. Noch wussten sie nicht, ob es wirklich Dexter Collins war, aber Gideon hatte sich mit seinem Bruder auf dem Weg hierher unterhalten und immer mehr Ansätze gefunden, die ein sehr klares Profil abgaben.

Dexter Collins schien einen perfiden Racheplan zu vollziehen, um die Väter zu strafen, die für den Tod seiner Caitlin verantwortlich waren. Dabei wartete er, bis die Töchter dieser Männer im gleichen Alter wie seine Tochter waren. Gideon hoffte nur, dass die Kleine noch lebte. Dass Reid noch lebte. Langsam schritt er mit den anderen Beamten und Derek tiefer in das Gebäude.

***

„Hören Sie bitte, Sie müssen das nicht tun. Es wird Ihren Schmerz nicht lindern, wenn sie dafür morden." Reid setzte alles auf eine Karte. „Es wird Ihnen ihre Tochter nicht wieder zurückgeben."

Spence sah die Hand nicht wirklich kommen, doch der Schlag traf ihn schwer im Gesicht. Er wurde schmerzhaft gegen die Rohrleitungen hinter ihm geschleudert. Er wusste, er hatte einen Nerv getroffen, allerdings hatte er sich eine andere, weniger schmerzhafte Reaktion erhofft. Er hatte das Gefühl, sein Kopf explodiert und versuchte die drohende Bewusstlosigkeit zu verdrängen. Er wusste, wenn er jetzt das Bewusstsein verlor, würde er vermutlich nicht mehr aufwachen, weil der Mann ein leichtes Spiel hatte. Verblüfft stellte er fest, dass durch den Schlag seine Sehfähigkeit sich wieder besserte.

„Reden Sie nicht über Caitlin!" Er wurde richtig wütend. „Ich habe es ihr versprochen und nichts wird mich daran hindern!"

Spencer versuchte sich aufzustützen. „Warum überlegen Sie nicht mal, was Caitlin dazu sagen würde? Glauben Sie wirklich, sie würde wollen, dass Sie diesem Mädchen etwas antun?" Spence sah Kylie, die sich soweit wie möglich an die Wand drückte. Er erwartete bereits den nächsten Schlag, aber er musste es versuchen. Doch nichts geschah, stattdessen blickte sich der Mann Richtung Luke um, er hatte irgendetwas gehört.

Er schien nervös zu werden und sah sich hektisch um und nun hörte Spence auch die Stimmen durch die Luke hallen. „Das werden meine Kollegen sein. Sehen Sie doch ein, dass es keinen Sinn hat."

„Die werden mich niemals kriegen und mich an meinem Werk hindern. Dann wird es halt schneller zu Ende gehen, als ich es vorgesehen hatte." Bei diesem Satz sah er zu Kylie und dieser Blick hatte etwas endgültiges. Er steckte den Schlüssel wieder in die Hosentasche und legte das Klebeband zur Seite.

„Was haben Sie vor?" Spence hörte weiterhin die Stimme von außen und entschloss sich alles zu riskieren. „Hallo! Wir sind hier! Hilfe! Hal…!" Ein weiterer Schlag traf ihn und schleuderte ihn gegen die Wand. Wie durch einen Nebel hörte er Kylie schreien. Er hoffte, dass seine Stimme seine Kollegen auf die richtige Spur führte. Plötzlich wurde ihm ein Streifen Klebeband auf den Mund gedrückt.

Hilflos musste Spence mit ansehen, wie der Mann sich an einem Rad zu schaffen machte. Er musste alle Kraft aufwenden um das Rad zu drehen. Plötzlich strömte Wasser in den kleinen Raum. Die gelöste Sperre lies immer mehr Wasser hereinspritzen, so dass Spence Schwierigkeiten hatte unter dem Wasserstrahl noch Luft zu bekommen. Der Kerl wollte es tatsächlich beenden und sie einfach ertränken. Er hörte Kylie vor lauter Angst schreien, während der Kerl noch einen Blick zurückwarf und dann den Raum durch die Luke verließ.

***

Gideon lauschte. Er hatte für einen Moment jemanden um Hilfe rufen hören, doch er konnte die Geräusche nicht orten. Er griff zum Funkgerät. „Hotch? Habt ihr das gehört?"

„Ja! Es kam aus der Haupthalle glaube ich." Gideon nickte, das war auch sein Eindruck. „Wir kommen!"

Gideon nickte seinen Leuten zu und traf fast gleichzeitig mit seinen Kollegen in der Halle ein, doch dort war nichts zu sehen und zu hören. Er war fast sicher, trotz des Halls, Spencers Stimme erkannt zu haben. Er musste doch hier irgendwo sein!

Sie alle sahen sich hektisch um, doch es war keine Spur zu sehen. Ein Schrei lies sie alle erstarren. Das musste Kylie sein und sie schrie noch immer. Derek sah angestrengt in eine Ecke und hob weisend den Arm. „Dort, seht ihr die Tonne? Dort ist ein Gang."

„Los!" Gideon und Derek kamen als erstes an dem schmalen Rohr an, dessen Verlauf im Dunkeln lag. „Ist das Wasser?"

Plötzlich erschien am Ende des Ganges ein Mann und sah sie erschrocken an, um dann auf dem Absatz kehrt zu machen. „Bleiben Sie stehen!" Doch der Mann hörte nicht auf den Befehlston Gideons. Hotch zögerte nicht lang und drang in den schmalen Tunnelgang ein und Gideon folgte ihm mit Derek. Sie alle hatten ihre Waffe gezogen und wussten nicht, was sie hinter der Biegung erwartete.

Am Ende des Tunnels sahen sie den Mann hektisch an einer großen Kurbel drehen um eine Luke zu öffnen. Hotch war vorne und hob die Waffe. „Bleiben Sie stehen! Keine Bewegung." Das Wasserrauschen erfüllte inzwischen das ganze Rohr und schien hinter der Luke herzukommen. Nur schwach war das Wimmern des Mädchens zu hören.

Gideon sah an Hotch vorbei und war besorgt, hier eine Waffe abzufeuern glich einem Selbstmord. Niemand konnte wissen, wohin die Querschläger flogen. „Hotch…"

„Ich weiß." Die leise geraunten Worte versichertem ihm, dass auch sein Kollege sich des Problems bewusst war. Langsam schoben sie sich beide näher heran, doch so einfach würde Dexter Collins es ihnen nicht machen. Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder war so groß, dass Gideon sich sicher war, wen er da vor sich stehen hatte. „Kommen Sie Dexter. Das hat doch alles keinen Sinn mehr."

Die Unterlippe des Mannes zitterte, während er anscheinend versuchte zu entscheiden, was er tun sollte. Unvermittelt riss er die Luke auf und sprang hindurch, bevor Gideon und Hotch nach ihm greifen konnten. Hinter der Luke sahen sie einen großen Wasserstrahl von der Decke kommen und als sie an die Luke kamen sahen sie das ganze Ausmaß der Situation. Es war eine Art großer Kessel in dem sich das Wasser sammelte und bereits sehr hoch stand. An der hinteren Wand klammerte sich die kleine Kylie an ein Rohr und versuchte sich über Wasser zu halten.

Collins verhinderte den Blick auf den Rest des Raumes und so konnte Gideon Reid nicht erkennen. Hotch warf sich vorwärts und packte Dexter am Rücken und riss ihn zurück. Gideon beobachtete, wie er den Mann, er hielt ein Messer in der Hand, niederschlug und an die linke Wand drückte. Nun konnte er auch Spencer Reid sehen, der verzweifelt versuchte seinen Kopf über Wasser zu halten. Gideon sprang ins Wasser griff noch Reids Körper und versuchte ihn hochzuziehen, was ihm misslang. Er tastete die Arme entlang und fühlte, dass Collins ihm die Arme mit Handschellen an ein Rohr gefesselt hatte. Mit der linken riss er dem jungen Mann das Klebeband vom Mund. „Kylie!" Obwohl er fast ertrank, dachte er nur an das Mädchen.

Auch Derek erschien an der Luke und erfasste die Situation schnell. Er versuchte das Sperrventil zu drehen, um den Wasserfluss zu stoppen. Doch obwohl er sich mit aller Gewalt dagegen stemmte, gelang es ihm nicht. Gideon sah zu Kylie und dann zu Hotch, der noch immer versuchte den sich wehrenden Collins zur Räson zu bringen. „Derek! Die Kleine!"

Derek brauchte keine weitere Aufforderung und hob die Kleine aus dem Wasser. Glücklicherweise erlaubten ihre Fesseln dies. Handschellen waren für ihre schmalen Hände nicht geeignet und so hatte der Täter sie mit Kabelbindern gefesselt. Derek zog ein Messer aus der Tasche und machte sich daran die Kleine aus ihrer misslichen Lage zu befreien.

Gideon sah wie das Wasser stieg und Spencers Gesicht erreichte. Verflucht! Irgendetwas musste geschehen!

„In seiner rechten Hosen…" Der Rest ging in einem Hustenanfall unter, als das Wasser in Spencers Mund drang. Gideon schaltete nicht gleich, aber dann sah er zu Hotch, der den leblosen Collins im Arm hielt. „Hotch! Suchen Sie die Schlüssel für die Handschellen. In seiner rechten Hosentasche! Schnell!"

Besorgt beobachtete Gideon wie das Wasser das Gesicht des jungen Mannes überspülte. Der Körper unter ihm krampfte, als Wasser seine Lungen füllte. Das durfte einfach nicht sein, nicht so.

„Hotch!" Er brüllte, während er gleichzeitig sah wie Derek endlich das Mädchen befreit hatte. Neben ihm tauchte plötzlich sein Kollege auf und tauchte unter Wasser. Gideon zog Reid unter den Achseln hoch, doch er musste noch einige Sekunden warten, bis sich der Körper hochziehen ließ. Prustend und keuchend kam Spencer wieder an die Wasseroberfläche und er schnappte gierig nach Luft, was einen Hustenanfall zur Folge hatte. Hotch tauchte neben ihm wieder auf und half ihm den jungen Mann zu stützen.

„Nichts wie raus hier!" Derek hatte sich mit der Kleinen auf dem Arm bereits der Luke genähert, wo jetzt auch Captain Collins auftauchte und für einen Moment das Bild was sich bot in sich aufnahm. Doch dann streckte er Derek die Arme entgegen und nahm ihm Kylie ab. Derek wandte sich wieder um und kümmerte sich um Dexter, den Hotch mit seiner Kleidung bewusstlos an einem Metallträger gehängt hatte. Gideon konzentrierte sich wieder auf seinen jungen Kollegen. Gemeinsam hoben sie den halbbewusstlosen durch die Luke und stützen ihn auf dem Weg hinaus.

***

Es waren nur fünfzehn Minuten verstrichen und inzwischen waren Ambulanzen eingetroffen und versorgten Kylie, Spencer und den Täter. Collins stand neben der Trage, mit dem sein Bruder Dexter abtransportiert wurde und schien fassungslos, dass er Recht behalten hatte. Es würde schwer werden für ihn. Vermutlich würden ihn Schuldgefühle plagen, dass er nicht eher eingegriffen hatte, doch sie hatten alle retten können. Gideon würde noch das Gespräch mit ihm suchen müssen.

Doch jetzt konzentrierte er sich wieder auf seinen Schützling, der noch immer leicht zitterte und eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht hatte. Sein Gesicht war übel zerschlagen und als sie den Tunnel verlassen hatten, war er in ihren Armen zusammengesackt. Jetzt hatte er die Augen wieder geöffnet und starrte ständig nach rechts, wo einer der Sanitäter der kleinen Kylie grad eine Decke umlegte. Sie hatte das ganze erstaunlich gut überstanden. Derek kümmerte sich um sie. Kylie würde in jedem Fall ins Krankenhaus zur Untersuchung gebracht werden. Dort würde ihr Dad sie wieder in den Arm schließen können.

„Es tut mir leid!" Gideon konzentrierte sich überrascht wieder auf Reid, der ihm entgegenblickte und die Maske vom Mund gezogen hatte.

„Weil Sie auf eigene Faust gehandelt haben?"

„Ja."

„Ohne Sie, wären wir ihm vermutlich nie auf die Spur gekommen." Das stimmte zwar nicht ganz, aber so ganz falsch war es auch nicht und Reid hatte seinem Instinkt gefolgt und ihr Instinkt war ihr wichtigstes Werkzeug. „Nächstes Mal rufen Sie halt an." Die Antwort schien den jungen Mann etwas zu beruhigen.

Als die Sanitäter die Trage anhoben trat Derek heran, auf seinem Arm das noch etwas verstört wirkende Mädchen. „Spence! Hier will dich jemand sprechen."

„Ich mag deine Freunde und nun werde ich meinen Dad wiedersehen." Die Kleine strahlte glücklich.

„Das habe ich dir doch versprochen Kylie." Er lächelte zufrieden und Gideon schob ihm die Sauerstoffmaske zurück ins Gesicht.

***

Collins stand am Rande des Brachgeländes und blickte in den Sonnenuntergang. Es waren bereits drei Tage vergangen und es erschien ihm alles wie ein böser Traum. Sein Bruder Dexter war derweil ins das Staatsgefängnis überführt worden und er hatte ihn gestern dort besucht. Es war für ihn noch immer schwer zu verdauen, dass sein eigener Bruder für all dies verantwortlich war. Als er abends wieder in sein Haus gekommen war, hatte er sich in das Zimmer seiner beiden Töchter gesetzt und sie stundenlang im Schlaf beobachtet.

Nun untersuchte die Spurensicherung einen alten Kessel im hinteren Teil der Fabrik, dort würden sie wohl den Körper des ersten Mädchens finden. Sein Bruder war sehr wortkarg gewesen und schien seine Außenwelt kaum wahrzunehmen, doch er wollte auch Sabrina Meyers Schicksal aufklären.

Wenn dies alles vorbei war, würde er sich bei der Bezirksregierung dafür stark machen, dass diese Fabrik abgerissen wurde und damit auch die Erinnerung an all dieses Übel. Heute Morgen hatte ihn Agent Gideon aufgesucht und mit ihm gesprochen. Er und sein Team würden heute wieder nach Quantico zurückkehren, nachdem sie Reid aus dem Krankenhaus abgeholt hatten. Das Gespräch hatte ihm sehr geholfen und er würde sich um den sauberen Abschluss des Falles kümmern. Clive Atkins war bereits gestern aus dem Gefängnis entlassen worden, nachdem sein Bruder die erste Tat gestanden hatte.

„Captain!" Einer seiner Mitarbeiter rief ihn. „ Sir. Wir haben hier etwas gefunden."

Captain Collins warf einen letzten Blick in den orange-rot verfärbten Himmel und seufzte. „Ich komme!"